Der Mensch kann mit der Brutalität und Rücksichtslosigkeit und dem was er (moralisch zurecht und ethisch einseitig) als Böses auf der Welt zusammenfasst, leben. Muss er ja, weil er einen Überlebenswillen/drang hat. Und kann er, wenn er nicht daran zerbricht.
Er kann es u.a. damit, dass er diese schrecklichen Aspekte und die Ambivalenz der Existenz auf Distanz zu sich hält. Aus sich auslagert.
Diese ‚Funktion‘ oder dieses Muster erfüllen die Ideologien, das Weltbild und die Identitätskonstruktion. Von Gruppen und Einteilungen nach Gruppenabgrenzunge und von Personen und deren als-ob-Einheit und Auslagerung der Ambivalenz und des nicht gleichberechtigt aushaltbaren (des Brutalen, Ungerechten, Bösen etc.) auf andere, die nicht zu den ‚Unsrigen’/zu uns gehören. Die falsch existieren (und pseudo-distinguiert: falscher existieren als wir, die wir ja auch fehlerhaft sind, aber “doch nicht so“). Und für den Hordentrieb intensiviert: Die Anderen.
Diese Heuchelei und Auslagerung macht dem Menschen das Leben mit seinen unauflösbaren Spannungen (mehr oder weniger) erträglich bzw. in verschiedenen Spannungswahrnehmungen und deren Auswirkungen auf die Energie und Lebensführung.
U.a. die Spannung zwischen dem menschlichen Hordentrieb und seinem rationalen Denken. Seiner Ingroup-Solidarität und Wärme (und aber ebenso Ambivalenz, die so gut es geht ignoriert oder relativiert wird — “immer noch besser als bei Den Anderen“) und seiner Projektion des Schlechten und Schlechteren auf die Outgroup. Was Spannung erzeugt/in Spannung ist mit seiner rationalen Erkenntnis der Ungerechtfertigtheit dieser Ungleichberechtigung und Messen mit ungleichem Maßstab.
Und die wir entweder zulassen oder wieder auslagern/projizieren bzw. ideologisch und weltbildlich parzial ‚rechtfertigen‘.
Im ersteren Fall betreibt der Mensch Philosophie und entdeckt die Existenz rational (hier = mit gleichen Maßstäben die Welt wahrnehmen und offen das Existierende theoretisch gleichbehandelnd modellieren).
Im zweiten Fall schützt sich der Mensch vor der für sein Hordenhirn (sein starkes Hordenmuster) unterträglichen Nichthierarchie und existenziellen Gleichberechtigung alles Existierenden. Das Existierende bzw. die Existenz (als abstrakter Begriff für eine Nichteinheit) stellt eine Pluralität dar, die nie (zu einer einheitlichen Ordnung, Hierarchie, Wertung, Gesamtheit, zu ‚einer Horde‘, etc.) vereinbar ist.
– Weil sie kein Ganzes ist (pluralistische Ontologie)
– oder das Ganze von keinem Teil oder sonstigen Einzelnen oder Gruppe (der nicht selbst das Ganze ist oder darüber steht) erfasst werden kann (z.B. Gödels Theorem).
Unvereinbar sind prinzipiell alle sekundären Kompositionen, aber als Parzialisierungen sind Gruppen als-ob (unter dafür notwendiger Pluralitäts- und Ambivalenz-Ignoranz) ‚gefühlt‘ und praktiziert Einheiten. Aber eben nicht eines Ganzen, sondern gegenüber und abgegrenzt von anderen Gruppen, Dingen, etc.
U.a. sind unvereinbar — auch trotz (und dann wiederum teilweise gerade wegen) der Vereinheitlichung des Menschen zu Personen und Gruppen (mit in Gruppen eingeteilter Ideologie und Weltbild für Ordnung und Hierarchie) — z.B.
– der Wille/Drang zur Macht (des plural komponierten Menschen mit Priorität Nichtkonformität bzw. Eigenleben) und der Drang zu Unterordnung und Eindeutigkeit (des plural komponierten Menschen mit Priorität Konformismus)
mit dem Willen zur Gleichberechtigung.
– Unsere aggressiven menschlichen Eigenschaften nicht
mit unseren zurückhaltenden Eigenschaften.
U.s.w. Der Mensch und seine Gruppen ist und sind intern und zwischeneinander Pluralitäten. Um die Ambivalenz zu überwinden brauchen wir Parzialisierung — Identitäts-Festheits-Imagination, Entpluralisierung/’Komplexitätsreduktion‘, Ordnung etc. Durch reduktiv-selektive und nach ungleichen Maßstäben messende (dadurch Auslagerung/Projektion ermöglichende) ver-ungleichheitlichende Gruppenbildungen durch Ideologien und Weltbilder.
Und um dagegen (gegen die Ver-Hordung und als-ob-Entpluralisierung der Existenzwahrnehmung und politischen Praxis etc.) wiederum eine Gegenspannung aufrechtzuerhalten, brauchen wir u.a. das rationale Denken (das in Spannung zum Hordendenken in allen Menschen vorhanden ist, als platonische Potenziale z.B.). Und in der Spannung zwischen
– der verungleichenden Hordenabgrenzung und Gruppeneinteilung der Welt
– und der parallel existenten menschlichen Fähigkeit zu rationalem Denken. Mit unserer theoretischen und abstrakten Fähigkeit zur gleichberechtigenden Wahrnehmung der Dinge als kontra-ideologisch existent — das Sein das wahrgenommen wird, obwohl es nicht dem ideologisch einseitigen Sollen folgt.
Das Sein, was dem Menschen nach Mustern wissenschaftlich modellierbar ist bzw. entgegentritt — im Sinne Max Webers wertfrei modellierbar, parallel zu unserem ebenso existenten Horden- und Hierarchisierungs-Drang, der die Wertung braucht und politisch-ideologisch ordnend-hierarchisierend verstetigt.
Keines unserer menschlichen Potenziale/Fähigkeiten und Muster kann das andere überschreiben oder “überwinden“. Wir sind, existenzialistisch formuliert, in die Pluralität geworfen und ordnen uns darin plural und nichteinheitlich. U.a. mit ideologischer Als-ob-Festlegung und Orientierung. Und mit kritisch-rationaler und pluralistisch-rational verschiedene Modellierungen und Optionen offen lassenden Wissenschaft. Die, für den Pluralisten, mit einer pluralitischen Philosophie rational beschrieben werden kann, ohne sie inhaltlich oder parziell auf bestimmte Aspekte der pluralen Existenz festlegen zu können. Was wieder den Klarheits-Drang in uns stresst.
Und in dieser Spannung der Nichteinheitlichkeit, der Nichtkongruenz des Menschen mit seinen pluralen Aspekten und Bedürfnissen etc. leben wir Menschen. Dialektisch.